Ich bin Lektorin und Redakteurin für belletristische, Sach- und Fachtexte.
Sobald ein Text fertig geschrieben ist, bekomme ich das Manuskript, um es für die Veröffentlichung einzurichten. Ich prüfe, ob es inhaltlich Sinn ergibt, ob Abweichungen auftreten (erst war der Bart einer Person rot, dann plötzlich schwarz), ob eine Geschichte verständlich erzählt wird, ob Grammatik und Rechtschreibung stimmen. Ich kommentiere das Manuskript, stelle Fragen, gebe Anregungen, korrigiere eindeutig Falsches. Selfpublisher muss ich oft engmaschiger betreuen, weil sie die Verlagsbranche kaum oder gar nicht kennen, z. B. wissen sie manchmal nicht, wie ein Impressum aussehen sollte. Hin und wieder erhalte ich Manuskripte, die nicht zu retten sind … Dann empfehle ich den Autorinnen meist, in eine Schreibgruppe einzutreten und dort erst einmal ihr Manuskript vorzustellen. Das ist einfacher für sie und kostet vor allem kein Geld.
Meist steige ich in die Buchproduktion ein, wenn das Manuskript teilweise oder auch ganz fertig ist. Wichtig ist eine aussagekräftige Leseprobe, damit ich feststellen kann, ob ich einen Auftrag übernehmen möchte oder nicht und abschätzen kann, wie viel der auftraggebende Verlag oder die Autorin bezahlen müssen.
Wer Lektorin werden möchte, sollte gerne lesen und einen guten Überblick über die Neuerscheinungen und Trends im Verlagswesen haben. Wichtig ist, klar kommunizieren zu können, ohne zu verletzen. Manchmal steckt die Lektorin auch zwischen Baum und Borke, wenn der Verlag z. B. einen Roman mit 250.000 Zeichen abfordert, die Autorin aber partout 300.000 liefern will und um jedes Komma kämpft. Ein paar Kenntnisse des Urheberrechts sind sinnvoll und alle selbstständigen Lektorinnen sollten betriebswirtschaftliche Kenntnisse haben – am Jahresende muss schon ein Plus herauskommen, sonst lohnt sich der Aufwand nicht.
Ich habe Germanistik und Theaterwissenschaft studiert und war später als Anzeigenleiterin für Literaturzeitschriften in einer Agentur angestellt. Neben dieser halben Stelle habe ich schon als freie Lektorin gearbeitet, und als ich gekündigt wurde, habe ich mich 2004 mit meinem eigenen Lektoratsbüro selbstständig gemacht. Bisher macht es noch Spaß ☺
Vormittags lese ich erst mal meine Mails, dann arbeite ich je nach Priorität meine Aufgaben ab. Manchmal habe ich sehr kurzfristige Termine, z. B. bei einem Werbelektorat. Nachmittags kümmere ich mich um Aufträge, die länger dauern, z. B. ein Romanlektorat. Das kann ich immer nur in Abschnitten machen. Für einen Roman brauche ich meist mehrere Wochen, weil die Autorin meine Anmerkungen erhält, alles durchgeht, annimmt, ablehnt, Fragen beantwortet usw. Dann bekomme ich das Manuskript zurück und arbeite in der nächsten Runde daran weiter. Bei einem Manuskript hatten wir am Schluss 9 Bearbeitungsrunden, aber das ist wirklich außergewöhnlich.
Je nach meiner Tätigkeit rechne ich Stunden- oder Seitenpreise ab. Letztlich aber muss der Gewinn zum Leben reichen, deshalb breche ich den gesamten Verdienst auf Stundensätze herunter.
Besonders viel Freude macht mir, wenn die Zusammenarbeit mit einer Autorin gut klappt und wir beide, genauso wie der Verlag und die Leserinnen, mit dem Buch zufrieden sind.
Manchmal stört mich, wenn Kundinnen mich stundenlang am Telefon zutexten, ohne dass es dem gemeinsamen Projekt dient. Da muss ich dann manchmal sehr klare Ansagen machen … Auch die Abwärtsspirale bei Kostenangeboten stört mich. Manchmal wünsche ich mir, dass auch Lektorinnen verkammert sind und ein Mindesthonorar bekommen.
Meine Mitarbeit an der Hanni-und-Nanni-Reihe hat mir besonders viel Spaß gemacht. Festzustellen, worauf ich achten muss, damit die neuen noch zu den damals 27 alten Bänden passen, war eine Herausforderung. Ich arbeitete mit einer wunderbaren, gewitzten Autorin zusammen, die meine Anregungen meist ganz anders und erheblich besser umsetzte, als ich mir das vorgestellt hatte.
In 10 Jahren wird es im redaktionellen Bereich sicher viel weiter in Richtung CMS gehen. Damit liefert man der Herstellung schon weitestgehend eingerichtete Texte zu. Ich bin und werde auch weiterhin orts- und zeitungebunden sein. Ich könnte von Neuseeland aus arbeiten und meine Kunden würden es kaum merken – vielen Dank, Internet! Trotz der zunehmenden Digitalisierung werden sich vermutlich immer Menschen Geschichten ausdenken und mit anderen Menschen daran arbeiten.
Übrigens: In der Verlagsbranche arbeiten zu einem hohen Prozentsatz Frauen. Bei allen weiblichen Bezeichnungen sind die Männer natürlich mitgemeint!