Lesen fördert das Lebensglück. Texte geben Orientierung und Tiefe, Gelassenheit, Freude und manchmal Grund zum Lachen. In meiner Buchhandlung sollen Kunden all das finden. Deswegen stehen hier mehr Bücher als betriebswirtschaftlich sinnvoll ist. Aber ich finde: Durch diese Unvernunft entsteht ein Mehrwert.
Die Tätigkeiten, von denen ich heute lebe, haben mit meinen Ausbildungsinhalten nicht mehr viel zu tun. In der Berufsschule hieß es noch: Na ja, dieses Internet, das wird sich bei uns nicht durchsetzen. Wir sind Buchhändler. Eine andere Formel war: Books are different. Was sollte mir das sagen? Dass ich als Buchhändlerin eine Verkäuferin mit Allgemeinbildung sein würde? Damit wäre ich nie zufrieden gewesen.
Konkret: Als Schülerin habe ich in einer Sortimentsbuchhandlung gearbeitet. Ich wäre dort gern in die Lehre gegangen, aber das hat mir damals mein Vater verboten. Zu klein, zu eng. Heute bin ich froh, dass er sich durchgesetzt hat. Später habe ich mir nichts mehr verbieten lassen, aber da war ich gehorsam und habe mich beim Rowohlt Verlag beworben. Dort habe ich dann meine Ausbildung gemacht. Streng genommen bin ich also Verlagsbuchhändlerin. Man konnte mit dem Abschluss Lektoratsassistentin werden, Vertriebsmitarbeiterin oder etwas anderes in helfender Funktion. Ich wollte aber lieber Chefin sein. Deswegen habe ich studiert: Geschichte, Französisch, Literaturwissenschaft. Das hat mir viel Freude gemacht, weil es kein pragmatisches Pflichtstudium war als Tritt auf der Karriereleiter, doch davon lebe ich heute nicht. Die Geisteswissenschaften sind mein Vergnügen, aber kein Beruf mit einem Auskommen.
Ich lebe davon, dass ich eine Sortimentsbuchhandlung betreibe, in der – siehe oben – ein bisschen zu viele Bücher stehen, die in einer Kleinstadt in Ostwestfalen kein Mensch erwartet. Aber genau deswegen funktioniert das. Es ist eine quasi akademische Buchhandlung an einem Ort, der nicht einmal einen Schuhladen hat – eine Buchhandlung, zu der die Leute angefahren kommen. Mit einer Buchhändlerin, die im Hinterzimmer vor sich hin arbeitet, weil sie die leichte Unvernunft des reichlich vollen Warenlagers mit Büchern ausgleicht, die sie verlegt oder selbst schreibt.
Und einem Vater, der auf dem roten Sofa sitzt und gern berichtet: Wenigstens einmal hat sie mir gehorcht. Damals. Vor über zwanzig Jahren, als vom Internet noch nicht die Rede war. Aber ich wusste: Verkäuferin mit Allgemeinbildung ist kein Metier für sie. Das reicht ihr nicht.
Ich selbst empfand das vor zwanzig Jahren als Gerede. Aber heute weiß ich, dass es mir schwerfallen würde, bei einer Firma angestellt zu sein, die nicht meinen Namen trägt. Diese Überzeugung hat mir in wirtschaftlich schwierigen Phasen schon sehr geholfen.
Davon abgesehen, dass Selbstständigkeit immer ein Risiko ist – kann man vom Bucheinzelhandel leben? Ja. Ja, wenn man seinen eigenen Kopf hat, nicht jedem Trend nachrennt und sich nicht weismachen lässt, es sei alles nur ein Elend. Ich sehe die Buchhandlung der Zukunft als einen erlesenen, kundigen Ort. Sie wird weniger Kunden haben und räumlich weiter ausgreifen. Die Buchhandlung der Zukunft muss sich als David gegen den Goliath im Netz bewähren. Das geht nur, wenn man viel liest, sich permanent aktualisiert und gerade so individuell ist, wie es dem Sortimentsbuchhandel leider oft nicht mehr gelingt.