Annika Preyhs

Annika Preyhs | Herstellerin

Vita

• Magister der Deutschen Literaturwissenschaft und Geschichte
• seit 30 Jahren in der Verlagsbranche tätig
• seit 20 Jahren freiberufliche Texterin, Buchgestalterin und Herstellerin
• neben der klassischen Buchgestaltung entwickle ich Konzepte (formal, inhaltlich und strategisch) für den digitalen Auftritt diverser Kunden
• Mein Lieblingsprojekt: auf meinem Blog buchstabenplus.de schreibe ich über Buchstaben, Design und Kunst auf Reisen, in Büchern, Magazinen, Ausstellungen und Shops

preyhs@buchstabenplus.de

Im Zusammenhang mit Herstellern fallen häufig Worte wie »unsichtbar« oder »bescheiden« und tatsächlich, wenn von der Herstellung von Büchern die Rede ist, wissen meine Gesprächspartner meist nicht viel damit anzufangen. Oft werde ich gefragt, ob ich Bücher binden würde.

Mittlerweile kann man Buchherstellung studieren, aber das war nicht immer so: Buchhersteller war kein Ausbildungsberuf, man rutschte als Drucker, Setzer oder – wie ich – als Absolventin eines geisteswissenschaftlichen Studiums hinein, brauchte etwas Leidenschaft für das Buch als Objekt und dann hieß es learning by doing. Als ich mein Volontariat im Verlag begann, hatte auch ich (als sehr bücheraffiner Mensch) nie zuvor von Buchherstellung gehört. Ich hatte mir schlicht und ergreifend keine Gedanken darüber gemacht und genauso geht es den meisten Lesern.

Was genau macht ein Hersteller? Hans Peter Willberg, ein sehr bescheidenes Mitglied unserer Zunft, bezeichnete den Hersteller mal als »Schaltstelle zwischen Geist und Materie«. Oder einfach: Hersteller sorgen dafür, dass aus Texten und Bildern Bücher werden. Das Faszinierende an Buchherstellung ist, dass organisatorische, kaufmännische, technische und gestalterische Fähigkeiten erforderlich sind.

Der Weg von der Idee zum fertigen Buch sieht in etwa so aus: Bereits in einem frühen Ideenstadium sitzt die Herstellung idealerweise mit am Tisch und kann die anderen Verlagsabteilungen in puncto Drucktechnik, Material und Ausstattung beraten. Es folgt eine erste Kalkulation der Herstellungsabteilung, die häufig die Grundlage dafür bildet, ob und in welcher Form ein Buch erscheinen wird. So betrachtet, nimmt die Herstellung eine wesentliche und einflussreiche Position im Werdegang eines Buchs ein. Anschließend wird von der Herstellung ein Team zusammengestellt, das das Buch produzieren wird – Grafik, Satz, Druck und Buchbindung. Dazu werden Ausschreibungen erstellt, Preise verhandelt und Aufträge vergeben. Der Hersteller hat immer das berühmte Dreieck Kosten-Qualität-Zeit im Blick. Mir gefällt es, wenn ich mit eingespielten Teams zusammenarbeiten kann, damit lassen sich nach meiner Erfahrung die besten Ergebnisse erzielen. Es folgt eine weitere, verbindliche Kalkulation.

Schließlich beginnt die Produktion. Das aus dem Lektorat gelieferte Manuskript wird layoutet, das Layout mit den Verantwortlichen abgestimmt, Texte und Bilder werden korrigiert und schließlich reingezeichnet. Tatsächlich wird ein solch altmodischer Begriff noch verwendet, denn die Herstellersprache ist voll von altmodischen Worten wie Hurenkind (letzte Zeile eines Absatzes als erste Zeile einer neuen Seite – ein No-Go), Schusterjunge (erste Zeile eines neuen Absatzes als letzte Zeile einer Seite – nicht schön, aber erlaubt) oder Durchschuss (Abstand zwischen den Zeilen), um nur einige zu nennen. Die Layout-/Repro-/Satzphase ist für gewöhnlich die zeitintensivste, denn mitunter gibt es drei und mehr Korrekturschleifen, bis alles druckreif ist und die Druckdaten geschrieben werden können. Manchmal layouten Hersteller die Titel selber oder sie bestimmen die Typografie und lassen den Satz erstellen, manchmal suchen sie Buchgestalter, die diese Aufgaben übernehmen. Das hängt von der Anzahl der Titel ab, die die Herstellung zu betreuen hat. Immer aber organisiert die Herstellung die Abläufe, schaut auf die Einhaltung des Terminplans und ordert währenddessen das Papier. Dieses und die Materialien für den Einband sind spätestens mit Abgabe des Entwurfs festgelegt worden. (Kleiner, wichtiger Exkurs zum Papier: Die Papierauswahl wird normalerweise von der Art des Buchs bestimmt – leicht getöntes, offenporiges Werkdruckpapier bei Belletristik, hochweißes, gestrichenes für Bilderdruck bei allen Titeln mit Farbe und/oder Bildern. Die Anforderungen sind relativ deutlich definiert, auch wenn das manche Verlage nicht (mehr) zu interessieren scheint.)

Mehr Spielraum gibt es theoretisch bei der Ausstattung des Buchs. Die Herstellung schlägt vor, welcher Art der Einband sein soll (Hardcover oder Paperback?), unterbreitet Ideen zum Vorsatzpapier (bedruckt oder durchgefärbt?), stimmt die Farbe des Kapitalbands (die textile Verzierung, die die Fadenhaftung verdeckt) auf Einband, Schutzumschlag und Vorsatzpapier ab und schlägt, sofern es üppig werden darf, eine Prägung oder vielleicht eine partielle Glanzfolienkaschierung vor. All das natürlich immer innerhalb des gesteckten Kostenrahmens. Ein wundervoller Teil der Arbeit in der Herstellung und hier idealtypisch geschildert.

Die Druckdaten (hochauflösende PDF) gehen schließlich in die Druckerei. Dort werden die Seiten ausgeschossen, d. h. auf dem Druckbogen angeordnet. Je nach Papierstärke werden in der Regel pro Druckbogen 16 oder 32 Seiten gedruckt. Das Falzen der bedruckten Bogen erfolgt in der Buchbinderei. Buchbindereien sind – häufig in Großdruckereien integriert – vollautomatisierte Betriebe: vorne gehen die bedruckten Bogen hinein, heraus kommt am Ende ein gebundenes Buch. Beim Druck haben die Herstellerprofis manchmal noch die Möglichkeit der Einflussnahme, denn bei aufwendigen Bildbänden sind wir bei Druckbeginn dabei und erteilen die Freigabe, wenn wir gemeinsam mit dem Druckexperten der Meinung sind, dass das optimale Druckergebnis erreicht ist. In der Buchbinderei jedoch läuft alles ohne unser Zutun.

Bei all diesen Arbeitsschritten hat die Herstellung eine ganz wichtige Funktion: Sie ist Hüterin der (formalen) Qualität. Zumindest, wenn innerhalb des Verlags ein Bewusstsein für Qualität herrscht. Schwierig wird es, wenn der Einkauf das Sagen hat und (meist) ohne Know-how in puncto Material, aber mit spitzem Stift die Ausstattung festlegt. Dann werden Materialien nach Preis geordert und nicht auf den Sinn ihres Einsatzes geachtet (siehe Papierexkurs) und dann heißt es: Willkommen in der Welt des Pfuschs! Nach dem Motto: Merkt ja keiner. Aber die Leser merken es doch!

Als Herstellerin und Typografin vergleiche ich das Lesen gerne mit dem Besuch eines Restaurants. Dort schmeckt mir das Essen mal besser, mal weniger gut. Ich weiß nicht warum und auch nicht, welche Zutaten verwendet wurden, aber wahrscheinlich werde ich das Restaurant nicht wieder besuchen, in dem es mir nicht so gut geschmeckt hat. In die Herstellung übersetzt: Gute Typografie und eine zum Inhalt passende Schrift kosten kaum einen Cent mehr als schlechter Satz, diese „Zutaten“ sollten aber für ein gutes Leseerlebnis immer gewährt werden, auch wenn der Kostendruck Sparsamkeit in der Ausstattung erfordert. Außerdem: Bei begrenztem finanziellen Spielraum ist die Kompetenz der Herstellungsabteilung um so wichtiger, denn nur sie kann beraten, wenn es darum geht, (formal) gute Bücher zu machen und sie kann schlanke Produktionen organisieren. Aber aus herstellerischer Sicht erscheint ein Silberstreif am Horizont. Vermutlich aufgrund der E-Books und des ständigen Redens über das Büchersterben, zelebrieren manche Verlage seit einiger Zeit das Buch als Objekt und haben kleine, günstige Reihen lanciert, im Taschenformat mit Festeinband, toll gestalteten, aufwendig bedruckten Umschlägen und feiner Typografie wie Suhrkamp Pocket, Fischer TaschenBibliothek oder Diogenes deluxe. Das sind Bücher, die man gerne zur Hand nimmt, die ihren Inhalt fein präsentieren und nicht nur denen, die Spaß am Seitenumblättern haben, Freude machen, sondern auch mein Herstellerherz höher schlagen lassen.

Nachsatz: Mein Text soll so lesbar wie möglich sein, und das würden Sternchen, große Is oder Doppelungen bei den Berufen verhindern. Für mich(!) ist es selbstverständlich, dass ich immer alle Menschen meine und mich ebenso angesprochen fühle, wenn der Einfachheit halber die männliche Form gewählt wurde.

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